Tod und Sterben ist hierzulande noch immer eines der großen Tabuthemen, es findet nur am Rande der Gesellschaft statt. Das obwohl es immer mal wieder auch in den Medien vorkommt, allein schon wegen der sich ändernden Gesetzgebung zur Sterbehilfe.
Pragmatisch betrachtet ist das Sterben der einzige Fakt, von dem wir in diesem Leben ausgehen können – mit der Geburt ist festgelegt, dass wir eines Tages auch sterben werden. Eigentlich ist es genau so einfach.
Als denkende und (meist) empfindungsfähige Menschen ist das natürlich etwas ganz anderes. Niemand möchte grundsätzlich gern sterben und tot sein. Allerdings gibt es einige Gründe im Leben der Menschen, die manch einen dazu verleiten, diesen Grundsatz des leben wollen zu hinterfragen. Schicksalsschläge mögen ein Grund sein, nicht mehr leben zu wollen – oder auch eine schwere Krankheit. In unserer Gesellschaft, bzw. in unserem Rechtssystem ist ein Suizid keine strafbare Handlung – wer kann und das Leben nicht mehr leben mag, begeht Suizid. So leicht dieser Satz geschrieben ist, so schwerwiegend ist diese Entscheidung. Niemand sollte hier das Tun eines anderen Menschen be- oder verurteilen, darum geht es mir auch nicht.
Wie ist das nun bei der Sterbehilfe? Ist es eine „Tötung auf Verlangen“? Oder ist es ein Akt der Menschlichkeit, eben auch um die Würde des Sterbenden zu beachten? Es gibt viele Schattierungen von Meinungen in unserer Gesellschaft und das Thema gehört eigentlich viel mehr diskutiert und viel mehr in den Fokus! Finde ich.
Und ich bin eigentlich der Meinung, dass man Menschen unter bestimmten Umständen beim Sterben auch helfen kann, ihnen Sterbehilfe zukommen zu lassen. „Eigentlich“ – genau, das habe ich mit Bedacht so geschrieben. Es ist ja am Ende die Frage, wo die Grenze liegt, wer „darf“ sterben und wer nicht? Und vor Allem: wer entscheidet das? Bei Dignitas in der Schweiz ist das ein einigermaßen festgeschriebener Prozess, dort werden nur Menschen geholfen, die eine Diagnose und eine unheilbare Krankheit haben. Hier werden ärztliche Gutachten herangezogen und der Faktor Zeit spielt eine Rolle. So oder so ähnlich könnte das bei uns doch auch gehen? Eigentlich wäre ich dafür!
Immer noch „eigentlich“. So leicht ist das vielleicht gar nicht. Ich arbeite ehrenamtlich in einem Hospiz und mache Sterbebegleitung. In der Hospizbewegung heißt es „dem Sterben mehr Leben geben“ und genau darum geht es auch. Es gibt soviele Dinge, die man für Sterbende tun kann, nicht nur in Gesprächen! Es gibt palliative Dienste, den SAPV, der rund um die Uhr zur Verfügung steht, um Schmerzen zu lindern. Es gibt Hospize, Pflegedienste, soviele Möglichkeiten. In einem Artikel las über ich Statistiken, in denen geschrieben stand, dass viele, die Sterbehilfe in Anspruch nehmen würden, gar nicht von all den beschriebenen Möglichkeiten wissen! Das finde ich tatsächlich schlimm. Wir müssen mit dem Thema Tod aus der Unsichtbarkeit heraustreten, das Tabu brechen! Ich weiß von einigen Menschen, nicht zuletzt von „meinem“ ambulanten Hospiz, dass sie genau das tun: sprechen, informieren, öffnen. Aber die meisten Menschen schließen die Augen vor diesem Thema, bis es sie irgendwann mal einholt. Viele sind dann überrascht, was es da alles gibt, rund um das Thema Tod, bzw. Sterben – das bekomme ich oft genug in meiner Hospizarbeit mit.
Schließt nun der Hospizgedanke die Sterbehilfe aus? Es ist, das weiß ich aus Erfahrung, schwierig, in Hospizen über Sterbehilfe zu diskutieren. Innerhalb eines Hospizes wird niemand Sterbehilfe machen, soviel steht fest! Aber am Ende kann grundsätzlich jeder für sich selbst entscheiden, wie er sterben möchte. Naja, abgesehen davon, dass wir wahrscheinlich alle in einem gesegneten Alter nach einem erfüllten Leben einfach nachts im Schlaf im eigenen Bett sterben möchten. Ich fürchte nur, das wird nicht jedem gelingen.
Irgendwann bei all den Überlegungen kommt man auf die philosophische Frage, wem denn das Leben eigentlich gehört und wer autonom entscheiden darf, was aus diesem Leben wird und eben auch, ob man aus ihm scheiden darf, weil man das möchte – dann auch durch fremde Hände. Schwierig und nicht eindeutig zu beantworten.
Warum aber haben wir soviel Angst vor dieser Thematik? Wahrscheinlich, unter anderem, weil wir nicht wissen, was nach dem Tod passiert. Werden wir einfach weg sein, werden wir aufhören zu sein? Spirituelle oder religiöse Menschen besitzen eine Hoffnung, einen Glauben. In vielen solcher Lehren geht es um Unsterblichkeit der Seele, es geht um das Leben nach dem Tod. Natürlich weiß immer noch niemand, was am Ende des Lebens passiert – mit uns, unserer Seele, unserer Energie, wie immer man es nennen mag – aber mit Glauben und Hoffnung bekommt der Tod eine Kontur, die durchaus schön sein kann. In anderen Kulturen ist nicht nur der Glaube viel gefestigter vorhanden, auch der Tod ist allgegenwärtig. Im Buddhismus beispielsweise gibt es eine ganze Lehre über das Sterben, festgehalten im „Tibetischen Buch vom Leben und Sterben“, dem „Bardo Thödröl“. Hier wird genauestens über die Stadien des Sterbens geschrieben. Ebenso über die Begleitung der Seelen in diesem Prozess. Es ist spannend und anrührend, mitunter sehr komplex und nicht leicht für westlich geprägte Menschen nachzuvollziehen.
Im Schamanismus kann man in der Trance den Ort bereisen, an den die eigene Seele gehen wird, wenn dieses Leben endet – dazu braucht es ein bestimmtes Ritual und das Wissen, wie man sich diesem Ort nähert. Für Psychopompos-Arbeit ist das unabdingbar.
Was wir wohl alle schon wissen, ist der Gedanke an die Auferstehung im Christentum. Es gilt die Überzeugung, dass nach dem Tod eine unsterbliche, überpersönliche Seele weiterexistiert. Aber wissen wir das? Ich musste den Wortlaut gerade nachlesen, dabei bin ich im Christentum aufgewachsen, bin sogar mal konfirmiert worden. Wie viele andere Menschen hatte auch ich das vergessen – wohl auch, weil dieser Glaube nicht der meine ist.
Es gibt also einige Wege, über die eigene Sterblichkeit nachzudenken. Ob das nun innerhalb eines religiösen oder spirituellen Kontextes ist, oder ob man sich medizinisch-pragmatisch nähert, dürfte erst einmal egal sein. Man kann anfangen, eine Patientenverfügung aufzusetzen, daraus folgen in der Regel schon viele Gedanken.
Am Ende all solcher Überlegungen könnte ja auch stehen, dass wir unsere Zeit sinnvoller und bewußter nutzen (sollten). Das Leben ist eben gar nicht so lang. Also weg mit den vielen Gedanken und den ganzen Zweifeln, auf geht’s ins Leben!