Heutzutage ist es ja modern, sich über das Loslassen viele Gedanken zu machen. In allerlei Seminaren, Coachings, Zeitschriften, Artikeln hier und da gibt es Anleitungen und Rituale zum Loslassen. Das ist ja schon fast eine ganze Bewegung. Natürlich ist es manchmal notwendig, sich von Dingen zu trennen oder auch Menschen loszulassen, die einem nicht gut tun.
Manchmal frage ich mich aber, was denn da eigentlich bleibt wenn man alles und jedes (und jeden!) loslässt? Es wird viel davon gesprochen, wie gut es als Mensch von heute ist, autark und selbstbestimmt zu sein. Wie wichtig eben die Fähigkeit ist, loslassen zu können. Wenn man aber alles immer schnell loslässt, bleibt nicht viel im Leben. Zumindest nicht dauerhaft. Ob wir Menschen es immer schaffen, so einen Loslass-Prozess in Gänze zu durchleben, lasse ich an dieser Stelle mal im Raume stehen – wobei ich schon vermuten würde, dass wir da vieles auch mal einfach wegdrücken, statt den Prozess zu leben. Aber darum geht es mir gerade nicht.
Bei all dem Losgelasse bleibt viel Zeit für sich allein. Alleinsein können ist, gerade in Zeiten der Pandemie, sehr wichtig. Lesen wir ja auch überall. Das ist scheinbar das nächste, was wir alle können müssen: allein sein! Und natürlich scheint da ein Zusammenhang zu sein, zwischen loslassen und allein sein.
Dummerweise ist es ein schmaler Grat zwischen dem Alleinsein und der Einsamkeit. Wer kennt es nicht, das Gefühl, einsam zu sein? Tatsächlich kenne ich sehr viele Leute, die behaupten, nie einsam zu sein. Vielleicht gehöre ich auch dazu? Es ist halt nicht wirklich schick, zuzugeben, auch mal einsame Momente zu haben. Ich habe sie, diese Momente. Mal mehr mal weniger. Erstaunlicherweise fühle ich mich manchmal einsam, wenn ich etwas (oder jemanden) losgelassen habe, oder gerade in diesem Prozess stecke. Eigentlich ist das gar nicht erstaunlich, weil Loslassen ja eine Lücke hinterlässt.
Die Frage die mir dann kommt, ist aber, ob es manchmal nicht klug wäre, auch etwas festzuhalten? Eben nicht dem ersten (Loslass-)Impuls folgen. Möglicherweise gibt es ja auch etwas dazwischen? Oftmals denken wir in Polaritäten: Loslassen oder Festhalten? Dinge und Menschen können vielleicht andere Prioritäten bekommen? Zwischen „fest“ und „weg“ kann es ja etwas wie „lose“ geben. Das Leben besteht aus Veränderungen, diese zuzulassen ist manchmal unangenehm oder gar schmerzhaft – aber Veränderungen beinhalten eben viel mehr als „Ja oder Nein“, „Schwarz oder Weiß“.
Tja. Und trotzdem muss man manchmal loslassen, um Platz zu schaffen für Neues. Manches will aber auch festgehalten werden. Weise dürfte indes derjenige sein, der weiß, wann welches Verhalten richtig für ihn ist.
Natürlich sind solche Entscheidungen nicht irreversibel, sondern immer wieder veränderbar, Teil eines nie endenden Prozesses. So gesehen können wir im Leben eigentlich wenig falsch machen….wenn wir denn darauf achten, was wir wollen und brauchen. „Brauchen“. Das ist auch so ein Wort. Dahinter steht manchmal Abhängigkeit, manchmal Bedürftigkeit, oder beides. Bedürftig sein und das zu bemerken, kann schön sein. Seine Bedürfnisse zu kennen, ist wichtig! Sich abhängig machen ist aber vielleicht nicht immer gut. Aber abhängig sein zum Beispiel von der Berührung eines geliebten Menschen, von wohlwollenden Worten, von Anerkennung, von Gesehen-Werden ist etwas, dass uns als soziale Wesen kennzeichnet. Insofern auch gut und wichtig.
Höre immer auf dein Herz
Solcherart Kalendersprüche tragen mitunter all die Weisheit in sich, die es braucht, um sein Leben offen und lebenswert zu leben. Das beinhaltet nichts weniger als loslassen aber auch festhalten können. Seine Bedürfnisse zu kennen. Mutig genug zu sein, sich auch mal in eine Abhängigkeit zu begeben, die auf Vertrauen beruht. Manchmal gehören auch einsame Momente dazu, das ist das Leben!