Kamele (Letzte Kamelgeschichte)

Hamlet: Seht Ihr die Wolke dort, beinah in Gestalt eines Kamels?
Plonius: Beim Himmel, sie sieht auch wirklich aus wie ein Kamel.
Hamlet: Mich dünkt, sie sieht aus wie ein Wiesel.
Polonius: Sie hat einen Rücken wie ein Wiesel.
Hamlet: Oder wie ein Walfisch?
Polonius: Ganz wie ein Walfisch.

William Shakespeare (1564 – 1616)

Viel ist erzählt und geschrieben worden um die Kamele dieser Sphären, die Welt in der sie leben und wie sie uns über viele Jahre auf Trab gehalten haben. Alles hat ein Ende, auch die Kamelgeschichten. Damit ich hier nicht falsch verstanden werde, den Kamelen geht es allesamt gut – aber sie leben ihr eigenes Leben weiter, ziehen weiter in der großen weiten Welt.

Natürlich wird das Kamel Pollux in meiner Nähe bleiben, er wird weiterhin Schokolade futtern, wo er nur kann, wird Menschen auf alle Nerven gehen, aber eben auch das liebenswerte etwas abgerockte Kamel bleiben! Er ist ein wenig erwachsen geworden und freut sich über die Ruhe im Haus, auch zusammen mit der Katze Mausi.
Das liebe schwuppige Kamel Humphrey freut sich seines Lebens in der queeren Wohngemeinschaft am anderen Ende der Stadt. Dort scheint er sehr angekommen zu sein mit all seinen Allüren und seinen Neigungen zu außergewöhnlichem Outfit. Nur wenn er zu seinen Minnegesängen ansetzt, ist es mit dem großen Glück seiner Mitbewohner/Innen schnell vorbei.
Theo und das Erbeerkuchenkamel reisen zusammen um die Welt, schauen sich alles an was sie auch nur am Rande interessiert. Das Erdbeerkuchenkamel sagt wo es lang geht, Theo aber wird immer auf es aufpassen, er wird schamanisieren und alle Kamele dieser Welt weiterhin als Kamelschutzbeauftragter vertreten! Die beiden schicken regelmäßig Nachrichten von wunderschönen Orten dieser Welt.
Klärchen, Pollux’ innig geliebte, wilde Kamelfrau ist aufgebrochen, Abenteuer zu erleben. Sie schreibt immer mal wieder hitzige Postkarten von allen Brennpunkten dieser Welt und kommt so oft es geht, zu Besuch. Für Pollux ist das gut so, es ist doch viel zu aufregend für ihn, wenn Klärchen ständig in der Nähe ist und so freut er sich auf ihre Besuche.
Das schwedische Kamel Gustav vom anderen Ende der Stadt ist zusammen mit Etepetete unterwegs. Fast immer. Die beiden ziehen gemeinsam nach Skandinavien, Gustls alter Heimat. Ete nimmt ihren Wurmloch-Sombrero mit, damit sie immer mal diese Welt verlassen und am Ende des Universums eine Flasche Rotwein in der Kneipe am Ereignishorizont eines fernen schwarzen Loches leeren kann. Manchmal taucht sie noch unerwartet auf meiner Couch auf. Sie sagt dann, sie sei im Wurmloch falsch abgebogen. Ich aber glaube, sie möchte immer mal nach ihrem Bruder Pollux sehen, den sie insgeheim doch ein wenig vermisst.
Das große, stoische Kamel Brocki ist zusammen mit dem ebenso großen Obermarschall in einer fernen Wüste verschwunden. Brocki wird sicher weiter das Schieberätsel „Space Invader“ spielen und sich so gut wie gar nicht bewegen (was in einer heißen Wüste eine gute Idee ist). Der Obermarschall genießt diese Ruhe nach seinem aufregenden Leben in allen möglichen Fremdenlegionen – beide zusammen weisen sich verlaufenden Wüstentouristen gern den Weg in die nächstgelegene Oase, natürlich nicht ohne sich das fürstlich entlohnen zu lassen. Sie werden sicher reich dabei werden und sind als Wüstenwegweiser wichtig und berühmt.
Vom Q-Seng Sir Henry hörte ich schon vor geraumer Zeit, er hätte wieder die Segel gesetzt. Er verschwand mit den Worten, er habe „seine Strümpfe in der Nordwest-Passage verloren“ winkend und merkwürdige Lieder singend auf einem Segelschiff, das die Förde nach Norden davonsegelte.
Die erst vor Kurzem eingetrudelte Kamelin Kassandra ist genauso schnell verschwunden wie sie erschienen ist, natürlich ohne auch nur ein Wort zu sagen oder einen Laut von sich zu geben. Die leiseste Kamelin der Gemeinde hat ganz bestimmt einen ruhigen Ort für sich gefunden.
Von Onkel Tante_Otto und den anderen Önskads weiß ich wenig, Gerüchten zufolge sind sie nach Südamerika ausgewandert und erklären den den Lamas und Alpakas die Vorzüge von mehreren Hückeln.
Die Ehrenkamelöse Eule Greta lebt inzwischen in einem Moorgebiet ganz in der Nähe. Sie hat einen Eulenmann kennengelernt und durchstreift mit ihm die Landschaft auf nächtlichen Flügen. Den Umschnallhückel hat sie mitgenommen und wird ihn sicher in Ehren halten. Manchmal fliegt sie in der Dämmerung winkend und lächelnd an unserem Balkon vorbei. Pollux, die Katze Mausi und ich winken dann zurück und freuen uns über den kurzen Besuch.

Zurück bleiben die Katze Mausi und ich. Auch wenn es ohne die ständigen Unruhen, wirren Ideen und ständigen Kamelkaffeetrinken ziemlich ruhig geworden ist, freuen wir uns für alle Kamele, die wo auch immer in der Welt glücklich sind und sein werden.
Ich freue mich aber auf Weihnachten, wenn von der ganzen Bagage, von all den Bagaluten Vorschläge für die Wahl des Weihnachtskamels hier ankommen.
Natürlich sind das gerade sehr wehmütige Momente, nicht nur für mich, vielleicht auch für alle aufmerksamen LeserInnen. Die Kamele aber haben Spaß und Freude und auch wir leben unsere Leben jetzt weiter. Pollux nickt bei dem Gedanken, schiebt sich einen Riegel Schoki in die Schnute und legt sich wieder hin.

Einmal im Jahr aber, zum Weltkameltag, werden alle Kamele für ein ganz großes Fest an die Förde kommen – es wird Kuchen satt geben, laute Musik und ganz sicher wilde und unglaubliche Geschichten von den Hückeltieren. Ich freue mich drauf – bis dahin macht es gut, ihr Kamele!

Eine merkwürdige Spezies: der Mensch

Es gibt soviele, so unterschiedliche Menschen. Das ist nichts Neues, keine bahnbrechende Erkenntnis. Man könnte meinen, die Unterschiede rühren von kulturellen Prägungen her, von unterschiedlichen Gesellschaftsformen, von geografischen Herkunftsorten. Menschen werden geprägt durch das Aufwachsen, durch äußere Umstände, Eltern, Familien, Schule, Gesellschaft, etc. All das macht Menschen vielfältig und unterschiedlich. Soweit so gut, aber das meine ich hier alles nicht.

Es gibt auch so etwas wie menschliche Reife. Charakterliche Reife. Anstand. Die Fähigkeit zur Selbstreflektion. Und es gibt Menschen, die lassen all das vermissen. So gestern geschehen in einer spätabendlichen Zugfahrt. Menschen, weit jenseits der fünfzig, Mütter mit ihren erwachsenen Töchtern, fast allesamt angetrunken. Ein Verhalten im vollen Zug, das schon an Peinlichkeit grenzt – dann wurde von dieser Gruppe eine junge Frau auserkoren, um sich über diese lustig zu machen, bis sie weint. Schlimm! Peinlich! Fremdscham! Ich bin ein meist ruhiger Mensch, aber hier bin ich kurz laut geworden und bin eine der betrunkenen Protagonistinnen angegangen. Die mich zwar ignorierte, aber immerhin die junge Frau in Ruhe ließ, die still weinte und etwas von fehlendem Anstand murmelte. Ich frage mich, was in den Menschen vorgeht? Fühlen sie sich in der Gruppe stark und erhaben? Ist es nur der Alkohol, der Menschen charakterlich entgleisen lässt? Sicher nicht. Eine der jüngeren Frauen, eine wohl Mittzwanzigerin, war nüchtern und hat keinerlei Anstalten gemacht, einzuschreiten und zu beschwichtigen, sondern kicherte so vor sich hin. Eine schlimme Situation, für die junge Frau die weinte. Für mich. Für die 2-3 Menschen, die erst in der Nähe saßen und dann den Platz wechselten und sich weit weg setzten.

Was aber sagt das über mich aus? Ich wollte mich nicht wegsetzen, dann wäre die junge Frau dort allein in der Gruppe gewesen. Aber ich fühlte mich auch „besser“ als die Gruppe Frauen, fand mich „toll“, dass ich der jungen Frau zur Seite stand, ohne abfällig zu werden. Aber steht mir diese Arroganz zu? Sicher nicht. Es sollte Normalität sein, vermeintlich schwächeren Menschen zu helfen, zur Seite zu stehen. Die junge Frau war nicht mal schwach, sie hat bei der Gruppe Frauen freundlich und bestimmt um Verständnis geworben und gebeten mit dem Sich-Lustig-Machen aufzuhören. Die aber lachten nur und machten Sprüche, die weit jenseits der Gürtellinie waren. Erwachsene Frauen mit ihren schon erwachsenen Töchtern. Frauen, die mitten im Leben stehen und optisch betrachtet keineswegs einem Brennpunkt entsprungen sind – Menschen direkt aus unserer Mitte! Irgendwie hoffe ich, dass diese Gruppe Frauen sich nach ihrem Rausch heute ein klein wenig für ihr dummes Verhalten schämen – aber ich glaube, das ist ein nicht nur viel zu frommer Wunsch, er steht mir nicht einmal zu. Und für mich ist es jetzt Zeit, diese schlimme Situation loszulassen – wie auch alle Beteiligten sie vielleicht längst losgelassen haben.

Ich freue mich über und auf Menschen, die eine charakterliche Reife zeigen. Die anderen Menschen gegenüber zugewandt, freundlich und immer respektvoll sind. Die Anstand haben und anderen Menschen wohlgesonnen sind. Das Leben und das Miteinander könnte so leicht sein. Aber auch: jeder Mensch ist anders und alle haben Entwicklungspotenzial. Ich auch.