Von Grenzen und Übergängen

In der Welt kennen die Menschen immer auch Grenzen, vielleicht wird dabei sofort an territoriale Grenzen gedacht – in diesen pandemischen Zeiten gelten die auch im freien Europa wieder mehr und wir werden daran erinnert, dass auch unser so freies Land in mehr oder weniger engen Grenzen lebt, bzw. dass diese Grenzen durchaus noch existieren. Viele von uns scheint dieser Umstand zu überraschen. Trotzdem leben wir ja nach wie vor in einer großen Freiheit, wenn wir das mal historisch betrachten – und doch ist es gut und wichtig, aufzumerken und zu bemerken dass sich momentan etwas verändert. Gerade in unserem Land mit eben der Geschichte, die wir mit uns tragen. Die Zeiten sind aber andere als vor 80-100 Jahren, das sollten wir nicht vergessen.

Grenzen erleben wir aber auch in uns selbst – und solche Begrenzungen sind vielleicht viel verheerender. Vielleicht müssen wir die innere Freiheit noch lernen? Dann würden äußere Begrenzungen eventuell gar keine so große Rolle spielen, solange wir grundsätzlich frei bleiben im Sinne des Freiheitsgedankens unseres Grundgesetzes. Aber ich glaube, so einfach ist das mit der inneren Freiheit nicht getan.

Innere Grenzen sind ja auch sehr wichtig für unser Selbst, für unser Sein. Wir grenzen uns von Dingen, Gedanken und auch anderen Menschen gern ab. Wir lernen, Grenzen zu setzen, um unser eigenes Leben selbstbestimmt leben zu können. Wir brauchen diese Grenzen, um uns selbst zu entdecken. Um zu unserem Kern vorzudringen und dabei sicher sein zu können, dass dieser Kern nicht von Schatten und Facetten verdeckt wird, die nicht zu uns gehören. Das dürfte oft ein längerer Prozess sein, denn es gilt ja auch, seine eigenen Schatten wieder in den Kern zu integrieren und seine eigenen Verletzungen zu heilen. Eigene Schatten zu identifizieren, Schattenarbeit zu betreiben ist kein allzu leichtes Unterfangen. Für manche von uns ist das viel Arbeit, Arbeit die sich aber immer lohnen dürfte. Denn je mehr wir uns unserem Kern nähern und ihn akzeptieren, desto mehr können wir die Grenzen die wir gesetzt haben, wieder erweitern und auflösen. Eben weil wir sie nicht mehr brauchen, weil wir uns selbst kennen.

Diese selbst gesetzten Grenzen wieder zu weiten ist auch keine leichte Aufgabe, es bedeutet, wieder offener zu sein, wieder mehr zu vertrauen. Dabei müssen wir immer wieder an diese Grenzen an-stoßen, um sie zu bemerken – nur dann können wir sie verändern. Ansonsten bleiben wir in unserer Komfortzone. Das ist natürlich auch in Ordnung, Komfort ist ja nichts schlechtes – aber wenn wir Sehnsüchte haben, uns verändern wollen, dann müssen wir uns hinaus wagen. Hinaus aus der Komfortzone, hinein in die Lernzone! Das ist dann wahre (Selbst)Entwicklung.
Manchmal brauchen wir dafür Impulse von Aussen. Es kommen zum Beispiel Menschen in unser Leben, die uns unsere Grenzen bemerken lassen. Dafür können wir eigentlich nur dankbar sein, denn es macht Prozesse einfacher und vielleicht nähern wir uns dabei unserer eigenen Sehnsucht.

Das Spannende ist, dass Be- und Entgrenzung wohl niemals abgeschlossene Prozesse sein werden, sie laufen parallel und sind fortwährend. Alles ist nicht nur Entwicklung, alles ist eben auch Veränderung. Das kann eine bedeutende Antriebsfeder im Leben von uns Menschen sein.

Man könnte sich eine Grenze auch als einen Übergang vorstellen, um nicht an Stacheldraht und Gefahr zu denken. Ein Übergang kann auch einer von einem Land zu einem anderen sein – oder von Land und Erde zu Wasser und Meer. Von Tag zu Nacht. Von heute zu Morgen. Der Übergang vom Schlaf zum Wachsein wäre dann das Aufwachen. Oft sind das ganz besondere Momente, die wir in diesen Übergängen, diesen Grenzübertritten erleben. Das gilt ganz sicher auch für innere Prozesse, auch wenn wir das eventuell erst hinterher bemerken, da solche Prozesse mitunter auch schmerzlich sein können.

Vielleicht passen all diese Gedanken auch zu den äußeren Grenzen (und Übergängen), die oben beschrieben sind. Auch diese Be-Grenzungen ändern sich immer und ständig, gerade in diesen Zeiten ist das deutlich spürbar. Auch hier finden Veränderungen statt, immer und zu jeder Zeit, mal mehr und mal weniger. Und zu guter Letzt korrelieren diese verschiedenen „Arten“ der Grenzen auch miteinander, was es zu sehr komplexen Thematiken werden lässt. Einmal begonnen lassen sich diese Prozesse aber kaum wieder stoppen.

Ich stelle mir gerade vor, ich wäre in einem inneren Prozess der Grenzerweiterung – mitten in einem Übergang, sozusagen mitten in der inneren „Blauen Stunde“ – so lässt sich Veränderung auch einfach mal genießen.

(Bild: FB „Black Room“)

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