Verbindlichkeiten

Im Wort Verbindlichkeit steckt Ver-Bindung drin, sich binden, eben verbindlich sein. Heutzutage ist das scheinbar ein seltener werdendes Gut. Wir leben in einer Zeit der Fülle, der Selbstverwirklichungen, in einer Welt der tausend Möglichkeiten. Das ist sicherlich schön, weil wir alle so ziemlich alles machen und auch lassen können und das eigentlich immer und zu jeder Zeit. Auf der Strecke bleibt aber häufig, so scheint es mir, eben diese Verbindlichkeit. Es gibt soviele, vielleicht zuviele Dinge, die wir tun können, als dass wir uns frühzeitig für etwas oder jemanden festlegen wollen oder können. Es kann oder könnte sich ja immer etwas noch Besseres, etwas vermeintlich noch Wichtigeres ergeben. Aber was kann denn wichtiger sein, als mit anderen Menschen einen verbindlichen Kontakt einzugehen? Ich finde das sehr auffällig – zumindest ist es das in meinem Leben. Ich würde es spontan das „Silvestersyndrom“ nennen wollen. Früher schon haben viele Menschen auf eine Silvestereinladung mit einem „Vielleicht“ geantwortet, eben eine eventuelle Zusage nur für den Fall, dass sich nichts Besseres anbietet. Heute ist vielleicht immer Silvester (welch gruseliger Gedanke). Für alle die, die etwas organisieren wollen, ist das richtig blöd. Sie laufen immer Gefahr, am Ende allein dazustehen. Gerade wenn man etwas für und mit einer Gruppe machen möchte, fühlen sich wenige Menschen bewogen, verbindlich zuzusagen. Leider ist es aber so, dass Zusagen oft auch nicht mehr so sehr viel wert sind. Natürlich kann jedem und immer etwas dazwischenkommen und es ist unfair, jedem Absager grundsätzliche Unverbindlichkeit nachzusagen. Aber der Trend geht irgendwie in diese Richtung. Mich nervt das zugegebenermaßen und ich frage mich, was das über die Welt in der ich lebe, aussagt? Vielleicht habe ja nur ich vermehrt Menschen um mich herum, die „gern“ etwas absagen? Vielleicht suche ich mir genau solche Menschen aus? Naja und warum triggert es mich seit Jahren dermaßen, wenn Menschen ständig etwas absagen? Was also sagt es über mich aus? Gute Fragen, wie mir scheint.
Ich persönlich finde Verbindlichkeiten wichtig. Das hat auch etwas mit Verlässlichkeit zu tun, sich auf jemanden verlassen können. Für sich selbst bedeutet das dann aber auch, sich eben auf sich selbst verlassen zu können, zu seinem Wort stehen! Sich selbst vertrauen zu können heißt ja, Selbstvertrauen zu haben! Ich finde, das korreliert ganz schön. Aber kann man dann den Umkehrschluss wagen und behaupten, dass Menschen die unverbindlich sind, wenig Selbstvertrauen haben? Das scheint mir auch sehr weit hergeholt zu sein – aber wer weiß, vielleicht lohnte sich da eine empirische Statistik. Eines aber weiß ich ganz genau: man gut, dass ich kein Silvester mehr feiere.
(Bild von https://unsplash.com/)

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